Veröffentlicht am März 11, 2024

Zusammenfassend:

  • Sucht ist eine anerkannte Krankheit, die Ihnen konkrete rechtliche Ansprüche auf Behandlung und finanzielle Absicherung sichert.
  • Der erste und wichtigste Ansprechpartner ist eine Suchtberatungsstelle. Sie ist kostenlos, anonym und erstellt mit Ihnen einen individuellen Fahrplan.
  • Ob eine ambulante oder stationäre Therapie die richtige ist, hängt von Ihrer persönlichen Situation und dem Schweregrad der Abhängigkeit ab.
  • Selbsthilfegruppen sind eine extrem wirksame Stütze, sowohl während als auch nach der Therapie, um langfristig abstinent zu bleiben.

Der Gedanke ist da. Vielleicht ist er nur ein leises Flüstern, vielleicht ein lauter Schrei: „Ich brauche Hilfe.“ Doch unmittelbar danach folgt oft die lähmende Überforderung. Wo fängt man an in einem System, das wie ein undurchdringlicher Dschungel aus Ärzten, Kliniken, Therapeuten und Anträgen wirkt? Die Angst, den falschen Weg zu wählen oder an bürokratischen Hürden zu scheitern, ist für viele Betroffene und ihre Angehörigen eine ebenso große Belastung wie die Sucht selbst. Man hört gut gemeinte Ratschläge wie „Sprich einfach mit deinem Arzt“ oder „Geh zu einer Selbsthilfegruppe“, aber diese Ratschläge lassen die entscheidende Frage offen: Was ist der *richtige* erste Schritt für *mich*?

Dieser Artikel durchbricht die Konfusion. Vergessen Sie das Bild des Labyrinths. Das deutsche Hilfesystem ist kein Chaos, sondern ein strukturierter Weg mit klar definierten Stationen. Wir betrachten es nicht als eine Liste von Optionen, sondern als einen pragmatischen Fahrplan. Unser Ansatz ist der eines erfahrenen Sozialarbeiters: wegweisend, ermutigend und auf das konzentriert, was wirklich zählt – Ihnen einen konkreten, gangbaren Weg aufzuzeigen. Wir ersetzen die Angst vor dem Unbekannten durch das Wissen um den nächsten logischen Schritt.

Anstatt nur zu sagen, dass es Hilfe gibt, zeigen wir Ihnen, wie Sie diese Hilfe finden, beantragen und für sich nutzen können. Wir übersetzen Fachbegriffe, erklären die Prozesse hinter den Kulissen und geben Ihnen die Werkzeuge an die Hand, um informierte Entscheidungen zu treffen. Dieser Wegweiser führt Sie von der ersten, zögerlichen Einsicht über die Wahl der passenden Therapieform bis hin zu einem stabilen Leben nach der Sucht. Denn der Weg aus der Abhängigkeit beginnt nicht mit einem Sprung ins Ungewisse, sondern mit einem ersten, gut informierten Schritt.

Der erste Schritt: Wie man sich eingesteht, ein Problem zu haben

Der wohl am häufigsten wiederholte Satz in der Suchthilfe ist, dass das Eingeständnis des Problems der erste und schwerste Schritt sei. Doch warum ist das so? Es liegt oft am Bild des „typischen“ Süchtigen, das wir im Kopf haben – ein Bild, das mit der Realität vieler Betroffener nichts zu tun hat. Die Sucht tarnt sich meisterhaft im Alltag. Man geht zur Arbeit, pflegt soziale Kontakte, hat eine Familie und erfüllt seine Pflichten. Von außen betrachtet scheint alles in Ordnung zu sein.

Fallbeispiel: Der „funktionierende“ Abhängige

Viele Betroffene, insbesondere bei Alkoholabhängigkeit, führen über Jahre ein scheinbar stabiles Leben. Die Alkoholabhängigkeit ist die häufigste psychische Erkrankung bei Männern und die zweithäufigste bei Frauen. Da der Konsum oft in den Feierabend oder das Wochenende integriert wird und die berufliche Leistung zunächst nicht leidet, wird das Ausmaß des Problems lange Zeit sowohl vom Betroffenen selbst als auch vom Umfeld unterschätzt. Dieses Phänomen des funktionierenden Süchtigen macht es unglaublich schwer, die Kontrolllosigkeit als solche zu erkennen und zu benennen.

Das Eingeständnis wird zusätzlich durch Scham und die Angst vor Stigmatisierung erschwert. Die innere Stimme sagt: „Das schaffe ich allein“ oder „So schlimm ist es doch gar nicht.“ Hier hilft es, die Perspektive zu wechseln. Es geht nicht um ein Versagen, sondern um das Erkennen von Mustern. Führen Sie ein ehrliches Gespräch mit sich selbst: Dient der Konsum dazu, Gefühle zu betäuben? Kreisen Ihre Gedanken ständig um die nächste Gelegenheit zum Konsum? Haben Sie bereits versucht, erfolglos zu reduzieren? Diese Fragen sind kein Urteil, sondern diagnostische Werkzeuge.

Sucht ist allgegenwärtig. Es ist unmöglich, am Thema vorbeizukommen, sei es privat, in der Psychotherapie oder im Coaching.

– Psylife Magazin, Fachzeitschrift für Psychotherapie

Sich ein Problem einzugestehen, bedeutet nicht, die Kontrolle abzugeben. Im Gegenteil: Es ist der erste Moment, in dem Sie aktiv die Kontrolle zurückgewinnen. Es ist die Entscheidung, nicht länger passiv zu reagieren, sondern aktiv eine Lösung zu suchen. Dieser Moment der Klarheit ist der eigentliche Wendepunkt.

Hilfe annehmen lernen: Wie man die richtige Unterstützung findet

Sobald die Entscheidung für Hilfe gefallen ist, stellt sich die nächste Frage: Wohin? Das Angebot kann auf den ersten Blick überwältigend wirken. Doch es gibt eine klare, empfohlene Reihenfolge. Der absolut beste und wichtigste erste Anlaufpunkt für fast alle Betroffenen und Angehörigen ist eine Suchtberatungsstelle. Diese Einrichtungen sind der Dreh- und Angelpunkt im deutschen Hilfesystem. Sie sind kostenlos, die Mitarbeiter unterliegen der Schweigepflicht und Sie können die Beratung anonym in Anspruch nehmen, ohne Krankenkassenkarte oder Überweisung.

Die Berater dort sind darauf spezialisiert, mit Ihnen gemeinsam Ihre Situation zu analysieren und den passenden Weg zu finden. Sie sind keine Therapeuten, sondern Lotsen. Sie helfen bei der Antragstellung, kennen die Kliniken und Therapeuten in Ihrer Region und können Ihnen sagen, welche Therapieform am aussichtsreichsten ist. Um die Wahl der ersten Anlaufstelle zu erleichtern, zeigt die folgende Übersicht die gängigsten Optionen mit ihren Vor- und Nachteilen.

Erste Anlaufstellen bei Suchtproblemen – Vor- und Nachteile
Anlaufstelle Vorteile Nachteile Für wen geeignet
Hausarzt Vertrauensperson, Überweisungen möglich Nicht spezialisiert Erster medizinischer Kontakt
Suchtberatungsstelle Kostenlos, anonym, spezialisiert Eventuell Wartezeiten Alle Betroffenen und Angehörige
DigiSucht Online Sofort verfügbar, anonym Kein persönlicher Kontakt Niedrigschwelliger Einstieg
Notaufnahme 24/7 verfügbar Nur für Akutfälle Bei Lebensgefahr/Entzug

Neben den klassischen Anlaufstellen gibt es zunehmend digitale Brückenangebote. Plattformen wie „DigiSucht“ der Caritas ermöglichen eine erste Kontaktaufnahme per Chat oder Mail. Diese niedrigschwelligen Angebote sind ideal, um eine erste Einschätzung zu erhalten und die Wartezeit auf einen persönlichen Beratungstermin zu überbrücken. Sie sind ein Beweis dafür, dass Hilfe heute zugänglicher ist als je zuvor.

Person nutzt digitale Gesundheitsanwendung auf Tablet in ruhiger Umgebung

Die wichtigste Botschaft ist: Sie müssen diese Entscheidung nicht allein treffen. Nutzen Sie die Expertise der Suchtberatungsstellen. Ein einziges Gespräch dort kann mehr Klarheit schaffen als wochenlanges Grübeln. Es ist der pragmatischste und effektivste Weg, um aus der Überforderung herauszufinden und einen konkreten Plan zu entwickeln.

Ambulant oder stationär? Welche Therapieform die richtige für Sie ist

Nach dem Erstgespräch in einer Beratungsstelle kristallisiert sich die zentrale Weichenstellung heraus: Soll die Therapie ambulant, also berufsbegleitend im gewohnten Umfeld, oder stationär in einer Fachklinik stattfinden? Diese Entscheidung hängt von vielen Faktoren ab: dem Schweregrad der Abhängigkeit, der Stabilität des sozialen Umfelds, dem Vorhandensein von Begleiterkrankungen und der eigenen Lebenssituation. Keine Form ist per se besser als die andere; es geht darum, die passende für Sie zu finden.

Eine ambulante Therapie findet meist ein- bis zweimal pro Woche in Form von Einzel- und Gruppengesprächen statt. Sie eignet sich für Menschen mit einer noch nicht stark ausgeprägten Abhängigkeit und einem stabilen sozialen Netz. Der große Vorteil ist, dass Sie in Ihrem Alltag bleiben und das Gelernte direkt umsetzen können. Eine stationäre Therapie hingegen bedeutet einen Aufenthalt von mehreren Wochen in einer Fachklinik. Dies ist oft notwendig bei schwerer Abhängigkeit, fehlendem sozialem Halt oder schweren körperlichen bzw. psychischen Begleiterkrankungen. Der Vorteil hier ist der geschützte Rahmen und die hohe Intensität der Behandlung.

Die Dauer einer stationären Behandlung variiert. Laut einer Auswertung der Barmer Krankenkasse beträgt die durchschnittliche stationäre Behandlungsdauer 8-15 Wochen für Alkohol- oder Medikamentenabhängige, während sie für Drogenabhängige bei bis zu 26 Wochen liegen kann. Die Kosten für eine Suchttherapie werden in der Regel von der Krankenkasse oder der Deutschen Rentenversicherung übernommen. Der Weg dorthin folgt einem klaren Prozess.

Ihr Fahrplan zur Kostenübernahme der Suchttherapie

  1. Erstgespräch vereinbaren: Kontaktieren Sie eine Suchtberatungsstelle. Dies ist kostenlos und erfordert keine Überweisung.
  2. Therapieplanung: Erarbeiten Sie gemeinsam mit dem Berater, welche Therapieform (ambulant, teilstationär, stationär) für Sie am besten geeignet ist.
  3. Antragstellung: Die Beratungsstelle unterstützt Sie aktiv dabei, den Antrag beim richtigen Kostenträger (Krankenkasse oder Rentenversicherung) zu stellen.
  4. Wartezeit überbrücken: Nutzen Sie die Zeit bis zur Bewilligung, um bereits an Selbsthilfegruppen teilzunehmen oder digitale Angebote wahrzunehmen.
  5. Therapiebeginn: Nach der Bewilligung des Antrags müssen Sie die Therapie innerhalb einer festgelegten Frist beginnen.

Diese strukturierte Vorgehensweise nimmt dem Prozess seinen Schrecken. Sie sind nicht allein mit dem Papierkram. Die Suchtberatungsstelle ist Ihr Partner, der sicherstellt, dass alle Formalitäten korrekt erledigt werden, damit Sie sich auf das Wesentliche konzentrieren können: Ihre Genesung.

Was passiert in einer Selbsthilfegruppe? Ein Blick hinter die Türen der Anonymen Alkoholiker & Co

Selbsthilfegruppen wie die Anonymen Alkoholiker (AA), Narcotics Anonymous (NA) oder der Kreuzbund sind für viele Menschen eine der wichtigsten Säulen auf dem Weg aus der Sucht – und eine der am meisten missverstandenen. Die Vorstellung, in einem Stuhlkreis zu sitzen und Lebensbeichten ablegen zu müssen, hält viele vom Besuch ab. Die Realität ist jedoch eine andere: Eine Selbsthilfegruppe ist ein geschützter, wertfreier Raum, in dem Menschen mit einem gemeinsamen Problem zusammenkommen, um sich gegenseitig zu stärken.

Das Grundprinzip ist einfach: Niemand versteht einen Süchtigen besser als ein anderer Süchtiger. Es gibt keine Therapeuten oder Ärzte, nur Betroffene. Das schafft eine einzigartige Atmosphäre von Vertrauen und Offenheit. Man kann als Gast teilnehmen, ohne sich anzumelden und ohne sprechen zu müssen. Man kann einfach nur zuhören. Die Teilnahme ist kostenlos und basiert auf absoluter Anonymität. Was in der Gruppe gesagt wird, bleibt in der Gruppe. Dieses Prinzip ermöglicht eine Ehrlichkeit, die an anderer Stelle oft unmöglich ist.

Die Wirksamkeit von Selbsthilfegruppen ist beeindruckend. Dr. Peter Raiser von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen betont ihre Bedeutung:

Gut jeder fünfte Suchtkranke wird durch die Selbsthilfegruppe abstinent ohne ein Angebot der beruflichen Suchthilfe nutzen zu müssen.

– Dr. Peter Raiser, Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen

Mehr noch, eine gemeinsame Statistik der fünf großen Sucht-Selbsthilfeverbände in Deutschland zeigt, dass von den Mitgliedern, die bereits seit über einem Jahr abstinent leben und regelmäßig die Gruppe besuchen, über 87% ohne Rückfall bleiben. Diese Zahl spricht für sich. Die Gruppe bietet nicht nur im akuten Kampf gegen die Sucht Halt, sondern ist vor allem in der Nachsorge ein entscheidender Faktor, um langfristig clean und zufrieden zu leben. Sie ist das soziale Netz, das einen auffängt, wenn alte Gewohnheiten und Trigger wieder locken.

Ein Leben nach der Sucht: Wie man langfristig clean bleibt und Rückfälle vermeidet

Eine erfolgreiche Therapie ist nicht das Ziel, sondern der Startpunkt. Der eigentliche Weg beginnt danach: im Alltag, konfrontiert mit alten Gewohnheiten, Orten und vielleicht auch alten Kontakten, die den Konsum begünstigt haben. Die langfristige Abstinenz ist ein aktiver Prozess, der Engagement und eine gute Strategie zur Rückfallprävention erfordert. Es geht darum, ein Leben aufzubauen, in dem Suchtmittel keinen Platz mehr haben.

Ein zentraler Baustein dafür ist die ehrliche Auseinandersetzung mit den eigenen Auslösern (Triggern). Das kann Stress bei der Arbeit, ein Streit mit dem Partner oder auch positive Ereignisse wie eine Feier sein. In der Therapie lernt man, diese Hochrisikosituationen zu identifizieren und alternative Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Das kann Sport sein, ein Gespräch mit einem Freund, ein Hobby oder Entspannungsübungen. Es geht darum, die Funktion, die das Suchtmittel früher erfüllt hat, durch gesunde Verhaltensweisen zu ersetzen.

Ein weiterer entscheidender Faktor ist der Aufbau eines neuen, stabilen sozialen Umfelds. Oftmals war der alte Freundeskreis eng mit dem Konsum verknüpft. Der Kontakt zu Selbsthilfegruppen ist hier von unschätzbarem Wert. Er bietet regelmäßigen Austausch mit Menschen, die die Herausforderungen kennen und unterstützen können. Aber auch der Wiedereinstieg ins Berufsleben ist ein wichtiger Schritt zur Normalisierung. Hier gibt es spezielle Modelle, die den Übergang erleichtern.

Praxisbeispiel: Die stufenweise Wiedereingliederung („Hamburger Modell“)

Um den oft abrupten Übergang von der geschützten Klinikatmosphäre in den vollen Arbeitsalltag abzufedern, gibt es das sogenannte Hamburger Modell. Nach einer stationären Therapie können Betroffene in Absprache mit Arzt und Arbeitgeber schrittweise in ihren Beruf zurückkehren. Man beginnt mit wenigen Stunden pro Tag, die dann über mehrere Wochen langsam gesteigert werden. Während dieser Zeit läuft die Lohnfortzahlung weiter und es findet oft noch eine therapeutische Begleitung statt. Dieses Modell reduziert den Druck und erhöht die Chancen auf eine nachhaltige, erfolgreiche Wiedereingliederung.

Langfristig clean zu bleiben bedeutet, wachsam zu bleiben und gut für sich zu sorgen. Rückfälle sind keine Katastrophe, sondern oft Teil des Weges. Wichtig ist, sie nicht als Scheitern zu sehen, sondern als Lernchance, um die eigene Strategie anzupassen und sofort wieder Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Hilfe annehmen lernen: Wie man die richtige Unterstützung findet

Wir haben bereits die wichtigsten Anlaufstellen identifiziert. Doch das Wissen allein reicht oft nicht aus. Die größte Hürde ist oft eine innere: die Schwierigkeit, Hilfe tatsächlich anzunehmen. Für Betroffene ist es die Angst, die Kontrolle abzugeben und sich verletzlich zu zeigen. Für Angehörige ist es das Gefühl, versagt zu haben, oder die Angst, den geliebten Menschen durch zu viel Druck zu verlieren. Diese psychologischen Barrieren zu verstehen, ist der Schlüssel, um sie zu überwinden.

Als Angehöriger ist es wichtig, eine klare, aber nicht anklagende Haltung einzunehmen. Vermeiden Sie Vorwürfe. Sprechen Sie stattdessen in „Ich-Botschaften“ über Ihre eigenen Gefühle und Sorgen („Ich mache mir Sorgen, wenn…“ statt „Du trinkst immer zu viel“). Bieten Sie konkrete Unterstützung an, zum Beispiel die gemeinsame Suche nach einer Beratungsstelle oder die Begleitung zum ersten Termin. Machen Sie aber auch klar, dass Sie das Verhalten nicht länger decken werden (Co-Abhängigkeit beenden). Es ist ein Balanceakt zwischen Unterstützung und klarer Grenzziehung.

Für Betroffene selbst ist der entscheidende Gedanke, dass das Annehmen von Hilfe kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke und Mut ist. Es ist die aktive Entscheidung, das eigene Leben wieder in die Hand zu nehmen. Die Mitarbeiter in Beratungsstellen und Kliniken sind Profis. Sie haben schon hunderte von Geschichten gehört und werden Sie nicht verurteilen. Ihre Aufgabe ist es, Ihnen zu helfen, nicht, Sie zu bewerten. Diesen Vertrauensvorschuss zu geben, ist ein entscheidender mentaler Schritt.

Sehen Sie den ersten Kontakt nicht als endgültige Festlegung, sondern als unverbindliches Informationsgespräch. Sie gehen dorthin, um sich eine Expertenmeinung einzuholen, genau wie Sie mit einem kaputten Auto in eine Werkstatt fahren. Sie bleiben der Experte für Ihr eigenes Leben, aber Sie holen sich das Fachwissen, das Sie für die „Reparatur“ benötigen. Diese Haltungsänderung kann den Druck nehmen und den Schritt zur Kontaktaufnahme erheblich erleichtern.

Ambulant oder stationär? Welche Therapieform die richtige für Sie ist

Die Entscheidung zwischen ambulanter und stationärer Therapie ist keine rein medizinische, sondern eine zutiefst persönliche. Nachdem die grundlegenden Unterschiede klar sind, geht es nun darum, eine ehrliche Bestandsaufnahme der eigenen Situation vorzunehmen. Die folgenden Fragen, die Sie mit Ihrem Berater besprechen sollten, können Ihnen als Kompass für diese wichtige Entscheidung dienen.

Fragen zur Selbsteinschätzung:

  • Wie stabil ist mein Umfeld? Habe ich einen unterstützenden Partner, Familie oder Freunde? Oder würde mein aktuelles Umfeld eine Abstinenz eher erschweren? Ein instabiles, konsumförderndes Umfeld spricht eher für eine stationäre Therapie.
  • Wie stark ist der Suchtdruck im Alltag? Schaffe ich es, nach der Arbeit oder am Wochenende abstinent zu bleiben, oder ist der Drang übermächtig? Ein hoher Suchtdruck, der kaum zu kontrollieren ist, benötigt oft den geschützten Rahmen einer Klinik.
  • Gibt es weitere psychische Belastungen? Leide ich zusätzlich unter Depressionen, Ängsten oder einem Trauma? Die intensive Behandlung von solchen Doppeldiagnosen ist oft ein Schwerpunkt stationärer Einrichtungen.
  • Wie steht es um meine körperliche Gesundheit? Sind bereits Folgeschäden durch den Konsum aufgetreten? Eine stationäre Therapie bietet eine umfassende medizinische Überwachung und Behandlung.

Eine ambulante Therapie ist oft die richtige Wahl, wenn Sie einen starken Willen zur Veränderung haben, Ihr Beruf und Ihr soziales Netz stabilisierend wirken und Sie das Gelernte direkt im „echten Leben“ erproben möchten. Sie erfordert ein hohes Maß an Eigenverantwortung.

Eine stationäre Therapie ist meist unumgänglich, wenn mehrere Versuche einer ambulanten Behandlung gescheitert sind, das soziale Umfeld belastend ist oder schwere Begleiterkrankungen vorliegen. Sie bietet die Chance auf einen radikalen Schnitt und einen kompletten Neuanfang in einem sicheren, abstinenten Umfeld. Es gibt auch Zwischenformen wie die teilstationäre (Tagesklinik) Behandlung, die eine intensive Therapie tagsüber mit dem Verbleib im eigenen Zuhause kombiniert. Sprechen Sie offen mit Ihrem Berater über diese Optionen. Es gibt für jede Situation eine passende Lösung.

Das Wichtigste in Kürze

  • Sucht ist eine anerkannte Krankheit in Deutschland, kein moralisches Versagen. Dies gibt Ihnen rechtlichen Anspruch auf Behandlung und finanzielle Absicherung während der Therapie.
  • Der pragmatischste erste Schritt ist der Gang zu einer kostenlosen und anonymen Suchtberatungsstelle. Sie fungiert als Lotse durch das gesamte Hilfesystem.
  • Die langfristige Abstinenz wird durch aktive Rückfallprävention gesichert. Dazu gehören neue Bewältigungsstrategien und ein stabiles, unterstützendes Umfeld, oft gefunden in Selbsthilfegruppen.

Sucht ist eine Krankheit, keine Charakterschwäche: Ein umfassendes Verständnis von Abhängigkeit

Zum Abschluss ist es entscheidend, das Fundament zu festigen, auf dem der gesamte Weg aus der Sucht aufbaut: das Verständnis von Sucht als Krankheit. Diese Einstufung ist keine Entschuldigung oder Verharmlosung, sondern eine wissenschaftlich und rechtlich fundierte Tatsache, die weitreichende positive Konsequenzen für Betroffene hat. Sie entzieht der Stigmatisierung und den Selbstvorwürfen den Boden und eröffnet den Zugang zu einem professionellen Hilfesystem. Allein in Deutschland sind laut aktuellen Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums rund 3,5 Millionen Erwachsene von einer substanzbezogenen Störung betroffen. Dies zeigt, dass es sich um ein weitverbreitetes Gesundheitsproblem handelt.

Die Krankheit Sucht ist komplex und hat sowohl psychische als auch physische Komponenten. Oft tritt sie gemeinsam mit anderen psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen auf, was als Doppeldiagnose bezeichnet wird. Das Suchtmittel dient dann häufig als Versuch der Selbstmedikation, um die Symptome der anderen Erkrankung zu lindern. Ein Entzug und eine Therapie müssen diese Verflechtung immer berücksichtigen.

Abstrakte Darstellung der Verbindung zwischen Suchterkrankung und psychischen Störungen

Die Anerkennung als Krankheit bedeutet vor allem eines: Sie haben ein Recht auf Hilfe. Gemäß dem Sozialgesetzbuch besteht ein Rechtsanspruch auf die notwendigen medizinischen Leistungen zur Behandlung. Dies umfasst die Entgiftung, die Entwöhnungsbehandlung (Therapie) und die Nachsorge. Die Kosten werden von den entsprechenden Trägern übernommen. Während einer stationären Therapie besteht zudem Anspruch auf Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber und anschließend auf Übergangsgeld von der Rentenversicherung. Ihr Arbeitsplatz ist während dieser Zeit geschützt. Niemand muss aus Angst vor finanziellen Einbußen oder dem Verlust des Arbeitsplatzes auf eine notwendige Behandlung verzichten.

Dieses Wissen ist Macht. Es verwandelt das Gefühl der Ohnmacht und Scham in ein Gefühl des Anspruchs und der Selbstermächtigung. Sie bitten nicht um einen Gefallen, sondern nehmen eine Ihnen zustehende Gesundheitsleistung in Anspruch. Diese Perspektive ist entscheidend für den gesamten Prozess – vom ersten Anruf bei einer Beratungsstelle bis zum Abschluss der Therapie.

Um den Weg aus der Sucht selbstbewusst zu beschreiten, ist es essenziell, die eigenen Rechte und die medizinischen Grundlagen zu kennen.

Ihr Weg beginnt jetzt. Der erste, wichtigste Schritt ist nicht, den ganzen Weg zu überblicken, sondern den Hörer in die Hand zu nehmen und einen Termin bei der nächstgelegenen Suchtberatungsstelle zu vereinbaren. Nutzen Sie diesen Wegweiser als Ihren Kompass und machen Sie noch heute diesen entscheidenden, mutigen Schritt in ein selbstbestimmtes Leben.

Geschrieben von Dr. Lena Richter, Dr. Lena Richter ist eine approbierte psychologische Psychotherapeutin mit 10 Jahren Erfahrung in der Behandlung von Suchterkrankungen und Angststörungen.